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Inhaltsverzeichnis:

Anfang

Einführung

Vor undenklichen Zeiten

Und so hat es wohl begonnen

Erze und Metalle zur Frühzeit

Die Zeit der Kupfermeister

Kurzübersicht Frühindustrialisierung

Das Rösten der Erze

Die Zinkindustrie

Technische Entwicklungen in der Stolberger Zinkindustrie

Sodaherstellung und Chemische Fabrik Rhenania

Menschen, Technik und Sozialgefüge

Literatur- und Quellenverzeichnis

 

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Sodaherstellung und Chemische Fabrik Rhenania

Eigentlich sind es ja bereits alte Bekannte, die chemische Fabrik Rhenania und ihre Vorgängerin, die Waldmeisterhütte. Und beide hatten durch Pionierarbeit in der Rösttechnik auch schon erkennen lassen, dass sie auf dem Gebiet der Hochtechnologie mithalten und teilweise sogar anführen konnten. Diese Technologiekompetenz erstreckte sich (fast möchte man sagen selbstverständlich) auch auf die Verfahren, die zur Sodaherstellung angewandt wurden und gleichfalls auf Folge- und Nebenprozesse, die der Sodaherstellung angegliedert waren.

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Quelle: Rüsberg F: (1949)
Die Rhenania in den 1940er Jahren
(Archiv: H. Beckers, Bestand: Nachlass Maria May)

Gegründet worden war die Waldmeisterhütte von dem Apotheker Friedrich Wilhelm Hasenclever, der kurze Zeit später auch Mitbegründer der Nachfolgegesellschaft 'Chemische Fabriken Rhenania' gewesen war, und der innerhalb dieses Unternehmens am Anfang einer langen Familiendynastie gestanden hat. Als nämlich Friedrich Wilhelm Hasenclever 1874 verstarb, übernahm der bereits als Ingenieur im Unternehmen tätige Robert Hasenclever die Firmenleitung. Nach dessen Tod wurde im Jahr 1902 ein dreiköpfiges Direktorium mit der Unternehmensleitung betraut, dem wiederum Max Hasenclever bis 1939 angehörte.

Zu Anfang des 20. Jahrhunderts wurde auch in der Großchemie ein gewisser Zwang zur Konzentration spürbar, ein Trend, dem sich auch die Rhenania nicht entziehen konnte. Bereits 1887 hatte sie Teile der 'Aktiengesellschaft für Chemische Industrie' in Mannheim Rheinau übernommen. 1917 brachte die Rhenania die 'Chemischen Fabriken Hönningen' (Rhein) in ihren Besitz und begründete im gleichen Jahr zusammen mit den 'Deutschen Kaliwerken' die 'Claus - Schwefel GmbH' in Bernburg. Hierauf erfolgte 1920 der Zusammenschluss der 'Chemischen Fabriken Kunheim' und der Rhenania.

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Skizze: F. Holtz

1928 fusionierten dann der 'Rhenania - Kunheim Verein Chemischer Fabriken' und die 'Kaliwerke Neustraßfurt - Friedrichshall' zu einem Großunternehmen der chemischen Industrie, das unter dem Namen 'Kali - Chemie' firmierte. Letztlich hatte sich somit eine Unternehmenskonstellation entwickelt, in der sich sowohl die Sodaherstellung als auch die hierzu erforderliche Gewinnung von Steinsalz in einer Hand befanden.

Doch jetzt wieder zurück zu den Gründerjahren und zu dem eigentlichen und ursprünglichen Unternehmensziel: der Herstellung des Schlüsselproduktes Soda. Hierzu waren, wie bereits erwähnt, Grundstoffe erforderlich, die in ganz überwiegendem Maße in der hiesigen Region zur Verfügung standen. Lediglich Koch- bzw. Steinsalz, das mengenmäßig zu nur etwa 15% an der Sodaherstellung beteiligt war, musste von auswärts herantransportiert werden.

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Skizze: F. Holtz

Lässt man den Röstprozess und die hieran gekoppelte Schwefelsäureherstellung, welche als eigentliches Bindeglied zwischen den Hüttenbetrieben und der Großchemie fungierte, hier einmal außer Betracht, so kann die Herstellung von Soda in sechs Teilprozesse untergliedert werden, die als Kurzübersicht wie folgt aufgeführt sind:

  1. Umsatz von Stein- (Koch-) Salz und Schwefelsäure zu Natriumsulfat.
  2. Reduktion von Natriumsulfat zu Natriumsulfid und Umwandlung des Natriumsulfids mit Kalkstein zur so genannten Schwarzasche (Rohsoda).
  3. Auslösung der eigentlichen Soda aus der Schwarzasche mittels Wasser.
  4. Filtration der Sodalauge zur Abtrennung fester Schwebstoffanteile.
  5. Eindampfen der Lauge bis zur Kristallisation und Trennung der Kristallsoda von der Mutterlauge durch Filtration.
  6. Austreiben der Wasseranteile durch Erhitzen (kalzinieren).

Diese Prozessschritte bildeten in ihrer Gesamtheit das so genannte 'Leblanc'-Verfahren, das sowohl von seiner Bedeutung als auch von seinen Auswirkungen her durchaus interessant genug ist, sich etwas eingehender damit zu befassen und ebenfalls die Teilprozesse etwas näher zu beleuchten.

Der Prozessabfolge entsprechend steht als nächstes jetzt der Natriumsulfatofen zur Diskussion. Es sei bereits hier darauf hingewiesen, dass an diesem Ofentyp ganz besonders ungesunde, geradezu schreckliche Arbeitsbedingungen vorlagen, unter welchen zudem noch körperliche Schwerstarbeit geleistet werden musste. Davon wird jedoch in einem späteren Kapitel noch eingehender berichtet werden.

Natriumsulfat-Ofen
Natriumsulfat war einer der Ausgangsstoffe für die Sodaherstellung und konnte aus Schwefelsäure und Kochsalz gewonnen werden. Bei diesem Prozess wurde Chlorwasserstoff (Salzsäuregas) frei, wodurch man sich anfänglich ähnlichen Problemen gegenübergesehen hatte wie beim Abrösten der Blende. Allerdings waren diese Probleme bereits gelöst, als das Verfahren in Stolberg Anwendung fand.

Zunächst war man mit der Einführung des Leblanc-Verfahrens nämlich vom Regen in die Traufe geraten. Die Schwefeldioxydbelastung war zwar durch die Nutzung der Röstgase zur Schwefelsäureherstellung drastisch reduziert worden, dafür aber hatte man jetzt das (eigentlich noch viel schlimmere) Problem mit den Salzsäuregasen. Auch die recht vordergründige und höchst fragwürdige Politik der hohen Schornsteine wollte hier nicht fruchten, da sich das Salzsäuregas unter Aufnahme von Luftfeuchtigkeit zu kompakten Wolken verdichtete, die schwerer waren als die Umgebungsluft und daher sofort und in unmittelbarer Nähe der Produktionsanlagen zu Boden sanken. Und wie das damals so üblich war, und heute wohl auch noch manchmal der Fall ist, wurde dieses Problem ebenfalls hauptsächlich deshalb gelöst, weil man für das Salzsäuregas eine Verwendung fand. Die Entlastung der Umwelt war zwar willkommender Nebeneffekt, aber eigentlich nicht direkter Auslöser für die Entwicklung der Problemlösung gewesen. Der Lösungsansatz wies starke Ähnlichkeit mit dem Prinzip auf, das letztlich auch bei den Röstöfen Verwendung fand. Ebenfalls beim Natriumsulfat- Ofen musste das freiwerdende Salzsäuregas völlig getrennt gehalten werden von den Verbrennungsgasen, da sich der reine Chlorwasserstoff ansonsten nur schwerlich kondensieren ließ.

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Skizze: F. Holtz

Die gusseiserne Schale, die oberhalb des Feuerraumes angeordnet war, wurde mit Kochsalz und Schwefelsäure beschickt, und diente gleichzeitig als Abschottung des Gasraumes vom Brennraum. Zur Trennung der aus der Pfanne ausgebrachten Natriumsulfat-Charge vom Feuerraum und zu deren Endbehandlung fand wiederum der bereits mehrfach beschriebene Trick mit der Muffel Verwendung. Somit konnte der freigesetzte Chlorwasserstoff gänzlich aufgefangen werden, sieht man einmal von den Restmengen ab, die durch die Arbeitsöffnungen entweichen konnten. Letztere waren erforderlich, weil die Chargen mittels schwerer Eisenstangen mehrfach umgerührt und dann in die Muffel hineingeschoben werden mussten.

Der Prozess war bezüglich der Temperaturführung, der Verweilzeit und der Handhabung (Beschickung und Ausbringung der Chargen) äußerst kritisch. Leichte Unachtsamkeiten oder Fehler in der Arbeitsweise konnten die eingesetzte Rohstoffmenge sehr schnell verderben, so dass nicht nur körperliche Kraftanstrengung, sondern auch Geschicklichkeit und Zuverlässigkeit des Bedienungspersonals unabdingbar waren.

Der Soda-Ofen
Das eben gesagte galt in fast noch höherem Maße für den Leblanc-Handofen, der zunächst für den eigentlichen Sodaprozess Verwendung fand, später jedoch von Drehrohröfen (Soda-Revolver) abgelöst wurde.

Insbesondere bei den Handöfen war die Beurteilung des Schmelzzustandes äußerst kritisch und verlangte viel Erfahrung. Der richtige Zeitpunkt zum Abziehen der fertigen Charge musste minutengenau abgeschätzt werden und geringfügige Abweichungen in der Verweilzeit, in der Temperatur oder im Ofenzug machten die Schmelze unbrauchbar.

Ganz wichtig war auch das sorgsame und gründliche Umkrücken (Durcharbeiten) der Masse, um erstens eine gute und gleichmäßige Erwärmung zu erzielen und zweitens die unterschiedlichen Bestandteile der Masse in möglichst direktem Kontakt zueinander zu bringen, da nur so eine vollständige Reaktion möglich wurde. Und ähnlich wie beim Natriumsulfat-Ofen erforderte dieses Umkrücken nicht nur Geschicklichkeit, sondern auch große Kraftanstrengung, die überdies auch noch bei großer Hitze zu erbringen war.

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Skizze: F. Holtz
Bei dem hier gezeigten Ofentyp wurde die Abwärme zum Eindampfen von Sodalauge genutzt (rechte Skizzenseite).

Das Gemenge aus Natriumsulfat, Kohle und gemahlenem Kalkstein wurde zunächst bei mäßiger Hitze umgesetzt und nach Ablauf der Reaktion zum feuerseitigen Ofenteil gezogen. Hier wurde das Material dann auf helle Rotglut erhitzt und als Schwarzasche (Rohsoda) ausgebracht. Der Ofen besaß seitliche Arbeitsöffnungen zum Umkrücken, zum Verlagern des Materials von der einen Ofenplattform zur anderen und zum Abziehen der fertigen Charge.

Die im Reaktionsgemisch eingesetzte Kohle diente als Reduktionsmittel (zur Bindung des Sauerstoffes) bei der Umwandlung von Natriumsulfat nach Natriumsulfid. Letzteres bildete durch Reaktion mit dem Kalkstein die Schwarzasche, ein Gemisch aus Soda und Kalziumsulfid. Beide Substanzen waren in der Schwarzasche innig vermengt, konnten jedoch durch Auslaugen sehr einfach getrennt werden, da die Soda im Gegensatz zum Kalziumsulfid leicht wasserlöslich ist.

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Quelle: Tomlinson C. (1848):
Auslaugen der Soda aus der Schwarzasche. Hierzu fanden größere, wassergefüllte Behälter Verwendung.

Nach dem Auslaugen der Soda aus der Schwarzasche verblieb als Reststoff ein Gemisch aus Kalziumsulfid, Asche, Kalk- und Kohlereste; eine graue, nach faulen Eiern stinkende Mixtur, mit der man nichts anzufangen wusste. Diese Masse wurde als lästiges Abfallprodukt auf Halden deponiert (z. B. Rhenania Halde Atsch), und diese Tatsache war aus heutiger Sicht das eigentliche Problem des Leblanc-Prozesses. Der weitaus problematischste Bestandteil dieses Abfallstoffes war das Kalziumsulfid, aus dem beim Zusammentreffen mit säurehaltigen Wässern giftiger Schwefelwasserstoff freigesetzt wurde bzw. wird, der in ganz erheblichem Maße die Luft verpestete. Insbesondere die aus den Halden austretenden Sickerwässer enthalten auch heute noch Schwefelverbindungen, die durch Folgereaktionen entstehen und die Gewässer belasten.

Während zur Betriebszeit der Sodafabriken reichlich Säuregas in der Luft vorhanden war, das für einen Umsatz des Kalziumsulfids sorgte, ist die Situation auch heute nicht grundlegend anders. Die in der Luft enthaltene Kohlensäure hält den übelriechenden Prozess weiter in Gang, wie sich in der Gegend des Stolberger Bahnhofs, wo die Rhenania einmal gestanden und ihre Rückstände deponiert hat, immer noch leicht und deutlich erschnuppern lässt. Je nach Sensibilität kann dieser Geruch durchaus auch als belästigend und störend empfunden werden.

Wenn es auch zunächst so ausgesehen hatte, als ob die technisch bedingten Umweltprobleme bei dem Gesamtkomplex Erze und Soda mit Hilfe technischer Maßnahmen lösbar seien, ging diese Rechnung - wie so oft - letztlich doch nicht so ganz auf. Die Probleme mit den Röstgasen und auch die mit den Salzsäuregasen hatte man zwar durch Einsatz technischer Mittel und sogar mit wirtschaftlichem Gewinn in den Griff bekommen, beim Kalziumsulfid jedoch hat es eine ökologisch adäquate Lösung eigentlich nicht gegeben.

Zwar hatte man in Stolberg sehr früh schon und in Deutschland erstmalig damit begonnen, Schwefelrückgewinnung zu betreiben und mit den hier entwickelten und eingesetzten Verfahren eigentlich auch betriebswirtschaftlich interessante Ergebnisse erzielt. Trotzdem blieben auch bei Anwendung von Schwefelrückgewinnungsverfahren die Kalziumsulfid - Restmengen nach wie vor ein Problem, das geradezu kennzeichnend gewesen ist für die Leblanc-Sodaindustrie. Als man letztendlich ein ökologisch zufriedenstellendes Verfahren zur Entschwefelung gefunden hatte, war das Leblanc-Verfahren eigentlich bereits technisch überholt.

Nebenprodukte der Leblanc-Industrie
Möglicherweise wird man sich erinnern, dass beim Umsatz von Steinsalz und Schwefelsäure neben dem Natriumsulfat auch Salzsäuregas (Chlorwasserstoff) entstand. Dieses höchst aggressive Gas hatte zunächst dort, wo es ungenutzt in die Atmosphäre gelangte, starke Umweltbeeinträchtigungen hervorgerufen. In Stolberg jedoch wurde das im Natriumsulfat-Ofen anfallende Salzsäuregas (glücklicherweise) schon ganz zu Anfang der Sodafabrikation zur Herstellung von Salzsäure genutzt.

Hierzu leitete man das Salzsäuregas durch ein System von 50 oder mehr hintereinandergeschalteten Behältern (auch Tourils genannt), die aus säurefestem Steinzeug gefertigt waren. Diese Tourils waren bis etwa zur Hälfte mit Wasser bzw. wässriger Salzsäure gefüllt, welche das Touril- System über Verbindungsleitungen im Gegenstrom durchfloss. An der Flüssigkeits-Oberfläche nahm die wässrige Säure in den Tourils begierig Salzsäuregas auf (Kondensation) und konnte sich somit allmählich aufkonzentrieren bis eine 30 bis 35%-ige "Verdichtung" erreicht war.

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Skizze: F. Holtz

Das Restgas wurde abschließend mittels Wasser ausgewaschen, wobei die hierbei entstehende, sehr dünne Säure als Speisewasser für den Gegenstrom-Durchfluss in den Tourils genutzt wurde.

Im Normalfall (Einsatz von Touril-Systemen) entstanden also beim Leblanc-Prozess Salzsäure und Sodalauge, wobei die Sodalauge üblicherweise zu kristalliner Soda weiterverarbeitet wurde. Die Salzsäure wiederum, ein geradezu kennzeichnendes Nebenprodukt des Leblanc- Verfahrens, fand in der chemischen Industrie zunehmend guten Absatz (z.B. zur Gewinnung von Chlor oder zum Aufschluss von Knochen bei der Leimherstellung).

Sodalauge und Salzsäure waren also die eigentlichen Produkte des Leblanc-Prozesses und beide Substanzen waren bestens geeignet, die zunächst aus Kristallsoda und Salzsäure bestehende Angebotspalette durch höchst profitable Produkte zu erweitern.

Zur Weiterverarbeitung bestens geeignet, so hatte die Aussage gelautet; eine Aussage, die nun allerdings nicht allgemeine Gültigkeit hatte, sondern - wie schon so oft in unserer Geschichte - vor dem Hintergrund heimischer Standortfaktoren zu sehen ist. Zur Weiterverarbeitung von Salzsäure und zur alternativen Verwendung der Sodalauge wurde ein Grundstoff benötigt, der schon bei der Herstellung von Sodalauge beteiligt gewesen war, und der sich von Anfang an fast wie ein roter Faden durch unsere Standortgeschichte hindurchgezogen hat. Es war nämlich nochmal wieder der Kalkstein bzw. dessen Derivate, die in den Folgeprozessen zur Herstellung weiterer Nebenprodukte Verwendung fanden.

So wurde bei der Herstellung von Chlorprodukten aus Salzsäure (z.B. Chlorkalk) zunächst Kalkmilch (eine Aufschwemmung von gelöschtem Kalk in Wasser) zur Chlorgewinnung benötigt. Zur Chlorkalkherstellung selbst war dann ebenfalls wieder gelöschter Kalk erforderlich.

Chlorkalk fand hauptsächlich zur Chlorbleiche in der Textilindustrie Verwendung. Aber auch die Papierhersteller nahmen große Mengen dieses Chlorkalkes ab, da sie auf Grund der extrem guten Bleichwirkung dieses Produktes nicht mehr auf den Einsatz weißer Textil-'Lumpen' angewiesen waren, sondern nunmehr auch eingefärbte Textilreste verwenden konnten. Chlorkalk kam in untergeordnetem Maße ebenfalls als Desinfektionsmittel zur Anwendung.

Und nochmals wieder unter Verwendung von Kalk, diesmal aber in Verbindung mit der Sodalauge, ließ sich das zweite wichtige Nebenprodukt der Sodaindustrie gewinnen. Dieses Produkt, die Natronlauge, wurde - neben der Soda selbst - vorwiegend in der Seifen- und Waschmittelindustrie eingesetzt.

Zur Herstellung der Natronlauge wurden zunächst große Eisenkessel mit Sodalauge gefüllt und dann eiserne, mit gebranntem Kalk gefüllte Sieb- bzw. Korbeinsätze eingetaucht. Hierbei entstand sofort gelöschter Kalk, der sich mit der gelösten Soda zu Natronlauge und Kalziumkarbonat (Kalk) umsetzte. Da Kalk in Wasser kaum löslich ist, brauchte die anfallende Natronlauge nur noch filtriert zu werden. Ganz ähnlich wie bei der Sodalauge, konnte auch die Natronlauge eingedampft werden, wobei festes Ätznatron entstand, welches von der Rhenania ebenfalls vertrieben wurde.

Solvay, ein neues Verfahren zur Sodaherstellung
Im Laufe der 70-er Jahre des vorigen Jahrhunderts erreichte ein nach seinem Erfinder Ernest Solvay benanntes Verfahren zur Sodaherstellung einen Entwicklungsstand, der einen großtechnischen Einsatz in zunehmendem Maße erlaubte.

Bei diesem neuen Verfahren fand neben Steinsalz als Ausgangsstoff nicht mehr Schwefelsäure, sondern Ammoniak Verwendung, ein Grund dafür, dass die nach diesem Verfahren gewonnene Soda auch Ammoniak-Soda genannt wurde. Das hierzu erforderliche Ammoniak musste von Gasfabriken oder Kokereien bezogen werden.

Sieht man von den verschiedenen Ausgangsstoffen einmal ab, so bestand der eigentlich grundsätzliche Unterschied zwischen den beiden Verfahren darin, dass die Reaktionen beim Leblanc-Verfahren in der festen Phase bzw. in der Schmelze und bei vergleichsweise hohen Temperaturen abliefen, während die Umsetzung beim Solvay Verfahren mit sehr viel weniger Energieaufwand in wässriger Lösung erfolgte. Hieraus ergab sich bei Anwendung des Solvay-Verfahrens eine Kokseinsparung von ca. 95%.

Durch die niedrigeren Reaktionstemperaturen unterlagen die eingesetzten Apparaturen und Produktionsanlagen fernerhin einem weniger hohen Materialverschleiß und erforderten geringere Reparatur- und Wartungskosten.

Als weiterer Vorteil wäre anzumerken, dass das beim Leblanc- Verfahren anfallende, lästige Abfallprodukt Kalziumsulfid bei der Herstellung von Ammoniak-Soda nicht entstand und somit natürlich auch nicht entsorgt werden musste.

Mit einem Wort gesagt, das neue Verfahren war dem Leblanc- Prozess technisch überlegen und besaß so entscheidende Vorteile, dass es nach 1880 die etablierte Leblanc-Methode allmählich zu verdrängen begann. Auch bei der Rhenania hatte man sich mit dem neuen Solvay-Prozess beschäftigt, und der Chemiker Honigmann hatte dort eine entsprechende Anlage zur Herstellung von Ammoniak-Soda im Labormaßstab entwickelt. Die Firmenleitung jedoch lehnte den Bau einer Produktionsanlage ab und hielt an dem herkömmlichen Verfahren der Sodaherstellung fest.

Die Entscheidung, das technisch überlegene Verfahren nicht innerhalb der Rhenania in großtechnischem Maße einzusetzen, deutet aus heutiger Sicht darauf hin, dass man die Bedeutung des Solvay-Verfahrens in Stolberg unterschätzt haben muss. Die grundsätzlichen Vorteile wird man (weil evident) mit Sicherheit wohl auch erkannt haben, kam jedoch bezüglich deren Wertigkeit und Gewichtung zu einer Fehleinschätzung.

Es ist natürlich heute und in Kenntnis der weiteren Entwicklung sehr einfach, fast schon anmaßend, die damalige Unternehmensentscheidung als falsch hinzustellen; aber mit dieser Entscheidung hatte man - wie wir heute wissen - die Weichen für die Zukunft objektiv falsch gestellt. Es gab aber auch eine ganze Reihe von Gründen, die diese Fehleinschätzung erklären können und jene (an sich falsche) Entscheidung nachvollziehbar machen.

Zunächst hatte die Rhenania das Leblanc-Verfahren auf einen weltweit anerkannt hohen, technischen Standard entwickelt. Man arbeitete sehr ertragreich mit besonders leistungsfähigen Anlagen, die zumeist im eigenen Hause konstruiert worden waren. Hierzu gehörten beispielsweise:

Auf Grund dieser überlegenen Technik konnte sich das Leblanc-Verfahren in Stolberg zunächst tatsächlich noch behaupten, und die Unternehmensleitung zeigte sich wenig geneigt, diese ausgefeilte, hochentwickelte Technik aufzugeben.

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Quelle: Ost H. (1900):
Soda-Revolver.

Obschon die technische Überlegenheit der Solvay-Methode aus heutiger Sicht völlig unstrittig ist, war dieses Verfahren ohne jeden Zweifel sehr viel weniger auf die Gegebenheiten des Standortes Stolberg zugeschnitten, eine Tatsache, die bei der damaligen Unternehmensentscheidung ebenfalls eine Rolle gespielt haben dürfte. Der deutlich weniger gute Übereinstimmungsgrad zwischen den Erfordernissen des Verfahrens und den vorgegebenen Standortbedingungen bezog sich auf zwei Ausgangsstoffe, die zur Sodaherstellung benötigt wurden.

Zunächst einmal war beim Solvay-Verfahren die erforderliche Einsatzmenge an Steinsalz zur Herstellung der gleichen Sodamenge erheblich höher. Und, wie man sich erinnern wird, war Steinsalz der einzige Grundstoff, der aus entfernten Regionen herantransportiert werden musste.

Als weiteres Problem ergab sich, dass bei der Anwendung des Solvay- Verfahrens Ammoniak statt Schwefelsäure benötigt wurde, wobei letzteres (in Stolberg jedenfalls) in sehr viel geringerem Maße verfügbar war. Und wenn man nun die Produktionsanlagen tatsächlich auf Ammoniak-Soda umgestellt hätte, wäre natürlich ganz massiv die Frage aufgetaucht, was man denn mit der beim Abrösten der Erze weiterhin anfallenden Schwefelsäure hätte tun sollen.

Diese Frage war für die Rhenania von durchaus vitalem Interesse, da man der Zinkindustrie weitreichende Abnahmegarantien für Schwefelsäure gegeben hatte. Man musste also die Schwefelsäure entweder selbst verarbeiten oder andere Abnehmer finden. Von beiden Möglichkeiten machte die Rhenania natürlich konsequent Gebrauch.

Neben der Leblanc-Soda-Industrie waren Düngemittelfabriken, die Superphosphate herstellten, ebenfalls Großabnehmer für Schwefelsäure. In unmittelbarer Nachbarschaft der Rhenania hatte sich eine derartige Kunstdüngerfabrik angesiedelt. Dieses Unternehmen mit Namen A. Schippan & Co. profitierte natürlich ebenfalls von der Schwefelsäure, die in unmittelbarer Nähe beim Abrösten der schwefelhaltigen Erze anfiel.

Auch hier lässt sich wiederum deutlich erkennen, wie weitreichend und vielfältig die Bedeutung der Stolberger Erze gewesen ist, die über das Verbindungselement Schwefelsäure auch die Verfügbarkeit von Düngemitteln und somit sogar die Landwirtschaft beeinflusst haben.

Die Produktionsanlagen der Düngemittelfabrik Schippan wurden 1920 durch eine schreckliche Explosion zerstört, die 23 Menschen das Leben kostete. Lange vorher jedoch war das Unternehmen von der Rhenania mit dem Hauptziel übernommen worden, sich den Absatz von Schwefelsäure zu sichern.

Wenn man die erforderlichen Grund- und Ausgangsstoffe mit in die Betrachtung einbezieht, lässt sich zusammenfassend sagen, dass der neue Solvay-Prozess technisch überlegen und wohl auch besser geeignet, aber eben überhaupt nicht zugeschnitten war auf die Gegebenheiten des Standortes Stolberg.

Die neue Methode zur Sodaherstellung hatte aber auch einen ganz allgemeinen Nachteil, der darin bestand, dass das im Kochsalz enthaltene Chlor an Kalzium gebunden wurde und sich damit zunächst jeglicher Nutzung entzog. Soweit sich das heute noch beurteilen lässt, hat genau dieser Nachteil den Ausschlag dafür gegeben, dass sich die Rhenania gegen das Solvay-Verfahren entschied.

Es war nämlich damals in der Soda-Industrie bereits mehrfach zu schweren Preiseinbrüchen gekommen, die teilweise so drastisch ausfielen, dass sie für eine Vielzahl von Unternehmen existenzbedrohende Krisen darstellten. Die wohl schwerste Krise wurde Anfang der 60-er Jahre durch den Ausbruch des Amerikanischen Bürgerkrieges (Sezessionskrieg) ausgelöst.

Der starken englischen Soda-Industrie ging durch die Bürgerkriegsfolgen in den Vereinigten Staaten ein wichtiges Absatzgebiet verloren, und es gab aus den gleichen Ursachen einen starken Einbruch der Baumwollproduktion, was eine stark rückläufige Nachfrage nach Soda zur Folge hatte. Die Engländer bedrängten in zunehmendem Maße den europäischen Markt und verursachten einen regelrechten Preisverfall.

Die Rhenania hatte diese Krise relativ unbeschadet überstanden, weil man mit den Gewinnen aus dem Unternehmenszweig der Chlorprodukte (in der Hauptsache Salzsäure) die Verluste abdecken konnte, die sich aus den extrem niedrigen Sodapreisen ergaben.

Es ist also kaum verwunderlich, dass man wenig Neigung verspürte, einen Unternehmenszweig entscheidend zu schwächen, der gerade in Krisenzeiten den Fortbestand des Gesamtunternehmens gesichert hatte. Und ganz so falsch kann die Entscheidung wohl auch nicht gewesen sein, denn die Produktion von Leblanc-Soda ist letztlich doch noch bis 1925 in der Rhenania mit gutem Erfolg betrieben worden.

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